Marlis Stachowitz : „In der Pracht des Teppichs das Dilemma unserer Zeit.“ Rede zur Eröffnung der Ausstellung GAP JUNCTIONS von Kata Unger


Kata Unger
Gap Junctions

In der Pracht des Teppichs das Dilemma unserer Zeit.

Sich dem Phänomen der Kunst Kata Ungers, sich ihrem Kosmos sprachlich zu nähern, führt über verschlungene Pfade, überall gibt es Abzweigungen und Kreuzungen, Verbindungslinien, die man entdecken kann. Aufgewachsen ist Kata Unger in einer Künstlerfamilie in Berlin, in der das Leben durchtränkt war vom Umgang mit Kunst, mit Literatur und Poesie, Philosophie und Politik. Ein Studium der Architektur an der Kunsthochschule Berlin Weißensee hat sie begonnen, sich aber bald letztendlich doch für die freie Kunst entschieden.

Auch wenn sie ihre Bilder webt, definiert sich Kata Unger als Malerin. Diese Definition ist ihr wichtig, um sich von der Textilkunst, der die Bildwirkerei schnell zugeordnet wird, abgegrenzt zu wissen.

Denn das Weben ist für sie eine Technik der Bilderzeugung und zwar in einem System, das dem binären System der Computer – 0 und 1 – entspricht, woraus sichgleichsam Punkt für Punkt durch das Zusammenspiel von Kette und Schuss das Bild entwickelt – ein Faden hoch – ein Faden quer. Dieses Bewusstsein, dass es eine enge Verbindung vom Webstuhl zum Computer gibt, hat einen ganz zentralen Stellenwert in Kata Ungers Arbeit. Als der französische Erfinder Joseph-Marie Jacquard Anfang des 19. Jahrhunderts den ersten mechanischen Webstuhl entwickelte, der sich per Lochkarte programmieren ließ, wurde sein System bald zum Vorbild für die frühen
Rechenmaschinen. Mit der Erfindung des Webstuhls „trennte er als erster die Software von der Hardware“, schrieb der Sozialhistoriker Hans G. Helms: „Vom ersten mechanischen Webstuhl führt die Entwicklungslinie damit geradewegs zum modernen Elektronengehirn. Wichtig ist der strikte dualistische Aufbau eines Gewebes, das Raster aus Kette und Schuss.“

Dass Kata Unger diese Verbindung zieht und davon fasziniert ist, hat sicherlich mit ihrem ausgeprägten Interesse für zukünftige Entwicklungen in Technologie, in Wissenschaft, für philosophische Fragen und auch und immer wieder für Science-Fiction in Literatur und Film zu tun. Wie stellen sich die Menschen die Zukunft vor, welche Themen bewegen sie, welche Möglichkeiten, welche Veränderungen aber auch welche Fragen stellen sich sie, welche Entwürfe von Zukunft finden sich inLiteratur und Film und im Vergleich, wie sind die  Niederschläge und Auswirkungen der technologischen Entwicklungen tatsächlich.

Sehr offensichtlich wird das in dem dunklen Teppich „CrackMe oder mein Hirn in der Cloud“, hier zeigt sich ein Blick ins All oder vielleicht auch nur auf ein zerkratztes Display. Künstliche Intelligenz, das schier endlose Streben nach Selbstoptimierung, die Befreiung von der Körperlichkeit, das ganz frühe Computerspiel Defender.
In dem Teppich „Die Prognostiker“ ist das Thema der Blick in die Zukunft, der schon im alten Ägypten und Griechenland und auch in allen Kulturen immer ein Bemühen der Menschen war, vom Lesen aus Tiereingeweiden und Vogelflug bis hin zu mathematischen Berechnungen der heutigen Prognostiker wie z.B. der Ratingagenturen.
Der prachtvolle, blau leuchtende Teppich „E- Zone“ auf dem ein Affe auf dem Skateboard verloren treibt, hat zum Ausgangspunkt die Elektromülldeponie Agbogbloshie in Ghana. Ausrangierter Elektroschrott von Fernsehern bis zu Computern aus Europa landet in der ehemaligen blauen Lagune, welche früher ein Rastplatz für Vögel auf ihren Reisen zu ihren Brutplätzen war, ist heute zu einem der giftigsten Orte der Welt geworden. Gleichzeitig ist er eine Erwerbsquelle, wenn auch eine tödliche, für unzählige Menschen, die dort noch verwertbare Teile sammeln, um aus dem Verkauf ihren Lebensunterhalt zu sichern.
„Battlefield Shaping“ – im Zentrum eine Figur über Kopf mit der Guy-Fawkes Maske der Occupy-Bewegung, erinnert an Harlekin oder Artisten oder vielleicht auch einen Samurai. QR-Codes, Symbole aus der Technomusik, Schrift.
Alles sind es Themen und Symbole, Artefakte der Informations- und Konsumgesellschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts.

So entwickelt Kata Unger die Themen- und Bildfindung über das, was sie Zeichnung nennt, diese kleinformatigen Arbeiten, die hier in der Ausstellung hinter Glas zu sehen sind. Hier arbeitet sie mit Tusche, Aquarell, Acrylfarben, benutzt für die Sprühtechnik Schablonen, die der industriellen Massenproduktion entstammen, wie z.B. Verpackungsmaterial von Joghurtbechern aus dem Supermarkt. Im Laufe der Auseinandersetzung mit bestimmten Themen entsteht dann das Bild, das dann sozusagen im Teppich, in der Tapisserie seine Gültigkeit erlangt.
Dieses gewebte Bild entsteht aber seinerseits ohne einen ausgeformten Entwurf, ohne die Anfertigung von Kartons, die üblicherweise für die Übertragung eines Entwurfs auf den Webstuhl eingesetzt werden und als Webvorlage dienen. Vielmehr entwickelt sich das Bild des Teppichs endgültig erst im Prozess des Webens selbst. Hier modifiziert sich der ursprüngliche Plan und ist der Zufall willkommen. Aber es erfordert auch gleichzeitig höchste Konzentration auf den ursprünglich gedachten Bildentwurf.
Denn die Künstlerin arbeitet am Hochwebstuhl. Da immer der fertige Teil des Bildes aufgewickelt wird, ist stets nur ein kleines Stück des Bildes sichtbar, an das die weitere Arbeit anschließen muss. Für gewöhnlich ist die Herstellung von Tapisserien oder Gobelins aufgeteilt in den künstlerischen Entwurf der am Anfang steht und der von einem Künstler angefertigt wird, und im Anschluss daran, die eigentliche Arbeit des Webens, die ihrerseits einem Weber, einem Kunsthandwerker übertragen wird, der den Entwurf dann mit seinem meisterhaften Können für den Künstler am Webstuhl realisiert.

Bei Kata Unger aber ist dieser Prozess der Bildwirkerei in Entwurf und Ausführung nicht getrennt, sondern ähnlich wie bei den Künstlern des Bauhauses, spielt die Verbindung von Kunst und Technik, eben dass der Künstler selbst webt eine zentrale Rolle. Es gibt keine Trennung im Prozess. Auch die Wolle, die die Künstlerin verarbeitet, färbt sie selbst und beweist dabei ein äußerst feines Gespür für die Farben und deren Zusammenspiel.

Aber wo sich im Bauhaus die Idee des Materials und der Werkgerechtigkeit an Abstraktion knüpft, sind bei Kata Unger die Bildteppiche an Themen gebunden, verwoben mit Zeichen und Bildsprachen, die eher in der Graffitikunst und Streetart zu finden sind, eine Ausdrucksform des subversiven, des unangepassten, der Eroberung von Stadträumen, der Kommentierung von gesellschaftlichen Prozessen.

Kata Unger ist bei aller Beschäftigung mit Zukunftstechnologien aber dabei keine Konzeptkünstlerin. Eher lässt sich Ihre Arbeitsweise mit den Wegen der Surrealisten vergleichen. Max Ernst z.B. definiert die Struktur des surrealistischen Bildes so: „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“

Webarbeiten und Teppiche haben eine Jahrtausendealte Geschichte. Im Mittelalter und der Renaissance dienten sie häufig der Prachtentfaltung und der Bezeugungund Konstituierung von Weltentwürfen der Mächtigen, die über die Bilderzählung und die Kostbarkeit des Werkes zur Schau gestellt wurden. In Burgen und Kirchen dienten sie als Schutz vor Kälte, und als Schmuck der Wände, im Außenbereich als Hintergrund großer Feste im Freien, als Straßenwände bei Prozessionen und Umzügen und zur Errichtung von Zeltlagern auf Reisen.
Im 30-jährigen Krieg gingen viel dieser Bildteppiche mangels Pflege verloren. Im 17. Jahrhundert erstarkte mit der Prachtentfaltung des  Absolutismus die Bildwirkerei vor allem in Webereien in Frankreich und den Niederlanden erneut um dann im 19. Jahrhundert einen weitgehenden Niedergang zu erleben. Das ging so weit, dass Bildteppiche als Verpackungsmaterial benutzt wurden.
Erst im Bauhaus wurde die Weberei selbst in einem ersten Schritt in Richtung eines künstlerischen Ranges erhoben, aber immer noch konnte sie sich nur schwerlich behaupten gegen die Betonung des Kunsthandwerklichen in Verbindung mit weiblicher Heimgestaltung, also  Gebrauchskunst und Dekoration. Die Webarbeiten Anni Albers als wirklich eigenständige künstlerische Arbeiten wurde jetzt erst im
Jahr 2018 gerade mit der großen Ausstellung in Düsseldorf im K20 gewürdigt.

Aber wie schon gesagt, Kata Unger geht hier ihren sehr eigenen Weg. In dem siedie Weberei aus dem Zusammenhang von Textilkunst  herausführt und ihr einen sehr zeitgemäßen Standpunkt in der digitalen Welt zuweist. Sie rückt sie in den Zusammenhang der Kunstdebatte des 21. Jahrhunderts in der sich Fragestellungen über unsere Welt und Menschenbild zuspitzen. Vor allem die Frage nach der Abstraktion
vom Gegenstand und der damit sinnlich erfahrbaren Welt, die Frage nach der Schnittstelle von Mensch und Maschine, Künstlicher Intelligenz, und Digitalen Welten. Während z.B. zum einen die Netzkunst der Frage nachgeht, wie man sich der Immaterialität, sozusagen der Abstraktion von Materialität und Verortung annähern kann, sozusagen eine Attacke auf die Idee des Bildes als materielle Substanz stellt,
formuliert Kata Unger einen gemeinsamen Nenner, eine Verbindungsstelle, sogenannte Gap Junctions zwischen den höchst sinnlichen und den abstrakten Welten. Gap Junctions sind Ansammlungen („plaques“ oder „cluster“) von Zell-Zell-Kanälen, die die Zellmembranen zweier benachbarter Zellen durchqueren. Ihre Aufgabe ist die Kommunikation der Austausch zwischen benachbarten Zellen.


Denn das Streben der Menschen bleibt gleich, und so webt Kata Unger mit Wollpixeln an Bildwelten postmoderner Zeiten, webt Verweise, Versatzstücke, Symbole, wuchtige Zitate und verfremdete Gestalten zu prachtvollen und kunstfertigen Objekten zusammen. Die Bilder sind vieldeutig. Bei all dem ist es faszinierend zu sehen, welchen Einfluss die Materialität dieserBildteppiche auf die Bildwirkung hat. Dieses Haptische der  Oberfläche, die magische Kraft und das Leuchten der Farben, ihr Changieren im Licht in den Strukturen des Gewebes, dieses Wärmeempfinden, das sich mit der wollenen Qualität verbindet. Es ist diese natürliche Sinnlichkeit an sich, die etwas zutiefst Schöpferisches und Lebendiges verströmt. Vielleicht liegt im Wissen um die Langsamkeit und Komplexität des Entstehungsprozesses, die Überschaubarkeit der Technik und den uralten, natürlichen Werkstoffen Wolle und Farbe, in all dieser Thematik, doch etwas von Maß und Menschlichkeit eingewebt. Anderseits verströmen die Bilder aber auch keine Sehnsucht nach vergangenen Zeiten und verklären nichts. Im Gegenteil in Ihrer Inhaltlichkeit sind sie irritierend, konfrontieren den Betrachter mit Widersprüchlichem, mit Ambivalenzen, ironisieren und fordern auf diese Weise heraus.
In der Pracht des Teppichs das Dilemma unserer Zeit.


Marlis Stachowitz, Eröffnung der Ausstellung GAP JUNCTIONS
Galerie Märzhase, Paderborn
Februar 2019